Folge VI: Die nationalsozialistische Diktatur
Das braune Terrorregime verändert Leben und Arbeit an Lahn und Dill
Aufenthaltsraum für die Lehrlinge der Burgerhütte in Burg, um 1937
© Friedrich Heuser, Herborn / HWA
Am 30. Januar 1933 vereidigte Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler als Reichskanzler und beauftragte ihn mit der Bildung einer Regierung. Damit war der bis dato wichtigste Schritt in die Diktatur, die in die Vernichtung der Juden und in den zweiten Weltkrieg mündete, vollzogen.
Kurz darauf zerschlug die NSDAP sämtliche Errungenschaften der jungen Weimarer Demokratie und ordnete das private, öffentliche, kulturelle und wirtschaftliche Leben konsequent der nationalsozialistischen Herrschaft unter. Auch an Lahn und Dill mussten sich Unternehmer, Arbeiter und Angestellte auf tiefgreifende Veränderungen einstellen. Regimegegner und Juden gerieten schnell in den fatalen Teufelskreis von Diskriminierung und Verfolgung.
Unternehmer und Nationalsozialismus
Im von hoher Arbeitslosigkeit gezeichneten Lahn-Dill-Bezirk war die Zahl der NSDAP-Anhänger größer als im Reichsdurchschnitt: Im Kreis Biedenkopf erzielte die NSDAP 1932 bei den Reichstagswahlen 69, 47, im Dillkreis 64,61 und im Kreis Wetzlar 46,55 Prozent. Zulauf erhielten die Nationalsozialisten von allen Bevölkerungsschichten. Untersuchungen zeigen, dass Handwerker, Kleingewebetreibende und kleine Geschäftsleute eine besondere Affinität zum Nationalsozialismus aufwiesen. Unternehmer und Manager waren nicht überproportional unter den Anhängen Hitlers vertreten, zeichneten sich aber auch nicht durch klare Gegnerschaft aus. Mehrheitlich arrangierten sie sich mit den neuen Machthabern – zum eigenen Vorteil und dem des Unternehmens. Der politische Einfluss der NSDAP auf die Geschäftsführung von Buderus z.B. blieb gering, beschränkte sich auf Vorgaben im Rahmen der NS-Wirtschaftsplanung. Die Vorstandsmitglieder pflegten keine engeren Beziehungen zur NSDAP. Sie empfanden die Nazis als „pöbelhaft“, begegneten ihnen, wie es der Historiker W. Rossmann formuliert, mit „Distanz und Verachtung“. Der Vorstandsvorsitzende Dr. Adolf Koehler konnte schon deshalb kein NSDAP-Mitglied werden, weil er Freimaurer war. Nach Koehlers Tod 1941 strebte Fritz Gorschlüter die Nachfolge Koehlers an, wurde jedoch vom Sicherheitsdienst der NSDAP als unzuverlässig eingestuft. Statt Gorschlüter erhielt Dr. H. Giesbert den Posten des Vorstandsvorsitzenden. Auch er war kein NSDAP-Mitglied und bezeichnete sich später als Gegner der Nazis. Der Katholik Jean Ley trat erst 1938 auf Druck des Aufsichtsratsvorsitzenden F. Reinhart der NSDAP bei.
Unabhängig von der Einstellung einzelner Entscheidungsträger waren die Unternehmen auf gute Kontakte zur NSDAP angewiesen, wollten sie an öffentliche Aufträge gelangen. Dabei war es vorteilhaft, wenn in der Unternehmensleitung mindestens ein NSDAP-Mitglied saß. Bei Buderus übernahm diese Funktion der Aufsichtsrat. Seine Zusammensetzung gewährleistete die Nähe zur NSDAP-Führung wie auch zur Wehrmacht. Die Arbeitnehmervertreter K. Weiß und H. Gelsebach waren direkt nach der „Machtergreifung“ durch zwei Vertreter der Deutschen Arbeitsfront (DAF) ersetzt worden. Bis 1938 saßen im Buderus-Aufsichtsrat noch jüdische Mitglieder, so auch als dessen Vorsitzender Dr. Albert Katzenellenbogen von der Commerzbank AG. Er schied 1938 aus und wurde 1942 im Vernichtungslager Maly Trostinec bei Minsk ermordet. Sein Nachfolger als Aufsichtsratsvorsitzender war bereits 1936 Friedrich Reinhart geworden. Neben ihm zogen, u.a. mit Carl Luer und W. Avieny, weitere Regimefreunde in den Aufsichtsrat ein.
Unbestritten schlossen sich viele Unternehmer im Lahn-Dill-Gebiet der NSDAP an – aus Überzeugung oder aus Kalkül. Die Partei erlebte direkt nach der „Machtergreifung“ eine regelrechte Beitrittswelle, sodass die NSDAP, um eine ideologische Verwässerung durch Opportunisten, („Märzgefallene)“ zu verhindern, am 19.4. 1933 eine Aufnahmesperre verhängte. Das Verhalten der Buderus-Vorstände und der Geschäftsführer der Burger Eisenwerke beschreibt die Bandbreite der Anpassung zwischen vorsichtiger Distanzierung und hemmungslosem Opportunismus, in der sich die überwiegende Mehrheit der Unternehmer im Lahn-Dill-Gebiet bewegte. Einige jedoch blieben konsequent ihren demokratischen Idealen treu. So auch Ernst Leitz. Als Mitbegründer des Liberalen Vereins in Wetzlar hatte er bereits vor dem Ersten Weltkrieg den Antisemitismus bekämpft. 1919 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Demokratischen Partei. 1924 lieferte er sich mit dem späteren NSDAP-Gauleiter Jakob Sprenger einen Schlagabtausch, der ihm die Feindschaft dieses mächtigen Parteifunktionärs einbrachte. Noch im April 1932 bezeichnete er die SA als „braune Affen“, und noch Jahre nach der Machtergreifung bewies Leitz Mut und Rückgrat: So erwirkte er 1933 die Freilassung des verhafteten Nathan Rosenthal II, lehnte 1938 die Ernennung zum Wehrwirtschaftsführer und die Aufforderung Sprengers, der NSDAP beizutreten, ab und beschäftigte noch lange nach 1933 jüdische Mitarbeiter und bildete jüdische Jugendliche aus. Später brachte er Juden in amerikanischen Leitz-Niederlassungen unter und rettete ihnen damit das Leben, Einen Gegenpol zu Leitz bildete Carl Hensoldt, der bereits 1932 der NSDAP beigetreten war. Er versprach sich von Hitler Vorteile für die M. Hensoldt & Söhne Optische Werke AG, die 1928 kurz vor dem Konkurs stand, als der Zeiss-Konzen in Jena die Kapitalmehrheit erwarb. Auch hoffte er, wieder in den Besitz des früheren Familienunternehmens zu kommen, an dem er nur noch mit 25 Prozent beteiligt war. Dies gelang ihm zwar nicht, doch schaffte er es dank seiner Kontakte zu NS-Dienststellen, den Zeiss-Konzern weitgehend von Entscheidungen auszuschließen. In denunziatorischen Briefwechseln und der Schrift „Der Daseinskampf des Hensoldt-Werkes“ feierte Hensoldt seine Verdienste um den Nationalsozialismus und diffamierte Vertreter des Zeiss-Konzerns als „demokratisch“ und „jüdisch versippt“. Seine Komplizenschaft mit dem NS-Regime trug Früchte: Dank der Rüstungsaufträge konnte Hensoldt den Umsatz des Unternehmens von 1933 bis 1939 vervielfachen. 1936 verdreifachte er sein Jahresgehalt als Vorstandsvorsitzender; 1937 gründete er in Herborn ein eigenes Unternehmen. Allerdings war sein offener Nazismus in der Wetzlarer Unternehmerschaft alles andere als beliebt, und so blieb sein Wunsch, Präsident der Bezirksstelle Wetzlar der IHK für das Rhein-Mainische Wirtschaftsgebiet zu werden, trotz Unterstützung durch NS-Funktionäre unerfüllt. Die Kammer war für das Funktionieren der Kriegswirtschaft zu wichtig, als dass man eine Person ohne Rückhalt an ihre Spitze gestellt hätte. Hier zeigt sich die durchaus vorhandene Rationalität des Regimes: In Wirtschaftsverbänden, Kammern und Behörden saßen größtenteils noch die gleichen Personen wie vor 1933, die dafür sorgten, dass Entscheidungen nicht nur auf der Basis ideologischer, sondern auf rationaler Erwägungen getroffen wurden.
Führerprinzip
Am 1. Mai 1933 erschütterten Aufmärsche ganz Deutschland. In glühenden Reden beschworen die Nazis die neue Zeit – und ihren Worten sollten schnell Taten folgen. Der nunmehr zum „Tag der nationalen Arbeit“ erklärte Tag war Auftakt für tiefgreifende Veränderungen: Am 2. Mai besetzten SA-Trupps die Gewerkschaftshäuser und verkündeten in Kundgebungen ihre Vorhaben. Ziel sei es, wie der stellvertretende Kreisleiter Haus aus Bieber verlautbaren ließ, „die gewerkschaftlichen Organisationen im Sinne des nationalen Staates zu überwachen“ - doch letzten Endes ging es um deren Vernichtung: Am 10. Mai 1933 wurden die Gewerkschaften aufgelöst, ihr Vermögen beschlagnahmt und das Streikrecht abgeschafft. An die Stelle der Gewerkschaften trat die Deutsche Arbeitsfront (DAF), die alle Gewerkschaftsmitglieder und Mitglieder von Arbeiter- und Angestelltenverbänden zwangsintegrierte. Gremien wie der erst seit dem 31. März 1931 bestehende Arbeiterrat der Burger Eisenwerke wurden im Sommer 1933 aufgelöst, das Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920 am 20. Januar 1934 aufgehoben. An seine Stelle trat das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit, welches das „Führerprinzip“ in der Betriebsverfassung festschrieb. Führer des Betriebs war fortan der Geschäftsführer, die Angestellten bildeten die Gefolgschaft. Sie standen im Treueverhältnis zum Betriebsführer, waren dem „Nutzen von Volk und Staat“ verpflichtet. Der Betriebsrat wurde durch einen „Vertrauensrat“ ersetzt. Für größere Wirtschaftsgebiete wurden „Treuhänder der Arbeit“ eingesetzt, die über die Arbeit der Vertrauensräte, die Einhaltung der Betriebsordnung und Kündigungen entschieden. Vor allem aber setzten sie arbeitsrechtliche Richtlinien fest, was sie zu einem wirkungsvollen Instrument der staatlichen Wirtschaftslenkung machte. Als Vertreter der NSDAP im Betrieb fungierte der Betriebsobmann. Er war, wie es in der Werkszeitschrift der Burger Eisenwerke hieß, „der politische Hoheitsträger des Betriebs (…), die Seele des Kampfes und (…) der schaffenden Menschen an der Stätte ihrer Arbeit.“
Entrechtung und Ermordung der Juden
Die Verfolgung der Juden setzte direkt nach der Machtergreifung ein. Schon zum 1. 4.1933 riefen Nazis zum reichsweiten Judenboykott auf. Vor jüdischen Geschäften postierten sich an diesem Tag SA-Leute, um mit antisemitischen Parolen Kunden vom Besuch der Läden abzuhalten. In Herborn war am Tag zuvor in der örtlichen Zeitung eine Meldung erschienen, in der die Leser aufgefordert wurden, „am kommenden Tag keine jüdischen Geschäfte aufzusuchen.“ Vermutlich fanden auch in Gladenbach, Haiger und Wetzlar antisemitische Aktionen statt. In Gladenbach war es bereits im März 1933 zu Ausschreitungen gegen Juden gekommen. Mehrmals waren Einwohner vor die Häuser jüdischer Familien gezogen, hatten Fensterscheiben eingeworfen und die Bewohner misshandelt. Derartige Aktionen wiederholten sich bis Ende 1935 - unter Duldung der Polizei.
Abgesehen von einigen Einzelhandelsgeschäften gab es im Lahn-Dill-Gebiet kaum jüdisch geführte Unternehmen. Eine Ausnahme bildete die Aktiengesellschaft Buderus´sche Eisenwerke, in deren Aufsichtsrat bis zum Verbot am 15. Mai 1938 jüdische Mitglieder saßen. Der Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Albert Katzenellenbogen wurde bereits 1936 vom regimenahen Commerzbank-Vorstandsvorsitzenden Friedrich Reinhart ersetzt. Aus den Gremien der Industrie- und Handelskammern wurden jüdische Mitglieder direkt nach der Machtergreifung entfernt. In der Regel traten die Mitglieder geschlossen zurück, um Juden oder Regimegegner von der darauffolgenden Wiederwahl auszuschließen. In der Bezirksstelle Wetzlar dankte der Vorsitzende Dr. Koehler dem Getreidehändler Nathan Rosenthal II und dem Fabrikanten Neumann für „verdienstvolle Mitarbeit“. An ihrer Stelle wurden Dr. Carl Hensoldt und Friedrich Ludwig in die Vollversammlung gewählt. Rosenthal wanderte 1937 in die USA aus, wo er 1950 verstarb. Den Höhepunkt der Verfolgungsmaßnahmen markierten die Pogrome vom 9. und 10. November 1938. In der „Reichskristallnacht“ zerstörte ein fanatisierter Mob jüdische Gotteshäuser, Geschäfte und Wohnungen. Die Synagogen in Braunfels, Ehringshausen, Gladenbach, Herborn, Kröffelbach, Niederweidbach und Wetzlar wurden verwüstet, zehntausende Juden misshandelt und in Konzentrationslager verschleppt. Ab Mitte November 1938 wurde Juden der Betrieb von Einzelhandelsgeschäften und Handwerksbetrieben untersagt. Sie durften nicht mehr als Betriebsführer tätig sein, konnten ohne Abfindung entlassen werden. In Herborn und Haiger mussten jüdische Geschäftsleute ihre Immobilien weit unter Wert verkaufen. Ab Frühjahr 1939 wurde Juden der Besuch von Theatern, Kinos und Museen verboten, ihre Kinder durften keine Schulen mehr besuchen. Jüdische Führerscheine wurden für ungültig erklärt, Spareinlagen beschlagnahmt. Am 30. April1939 verloren Juden den Mieterschutz. Den Drangsalierungen folgte eine Auswanderungswelle. Bis zum Kriegsausbruch verließ die Hälfte der Anfang 1933 auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Hessen lebenden 70.000 Juden das Land. Auf die Zurückgebliebenen warteten Deportation und Vernichtung. Ihre Heimat an Lahn und Dill hatten viele Juden bereits vor 1938 verlassen. Sie waren in die Anonymität der Großstädte geflüchtet, in denen sie sich sicherer vor Drangsalierungen fühlten. Die letzten noch in Herborn lebenden Juden wurden Juni und August 1942 „nach dem Osten“ deportiert und dort ermordet.
In einem Abbau der Grube Friedrichszug bei Nanzenbach. Dieses Bergwerk war als einziger Grubenbetrieb von Buderus in der Zeit der Weltwirtschaftskrise ununterbrochen in Förderung. Aufnahme aus der Zeit um 1930
© Bosch Thermotechnik
Arbeitsbeschaffungsprogramme
Die Machtergreifung, heißt es im Geschäftsbericht der Buderus´schen Eisenwerke für 1933, habe „den Wendepunkt für die Wirtschaft gebracht.“ Bis Ende 1933 verringerte sich die Zahl der Beschäftigungslosen von sechs auf vier Millionen. 1936 herrschte wieder Vollbeschäftigung. Dieser Erfolg wird oft auf die Beschäftigungsprogramme zurückgeführt, welche durch zwei Gesetze im Juni und im September 1933 eingeleitet wurden: Diese ermächtigten den Reichsfinanzminister, bis zu 1 Milliarde RM für Arbeitsförderungsmaßnahmen auszugeben. Um viele Arbeitslose zu beschäftigen, wurde bei Bauprojekten auf Maschinen verzichtet und – betriebswirtschaftlich unsinnig – auf Handarbeit gesetzt. Deutlich wird dies beim Bau der Autobahnen. Vor allem die Bauindustrie erlebte einen Aufschwung, und mit ihr die Eisengießereien des Lahn-Dill-Gebiets. Die Arbeitslosenzahl in Wetzlar, die Ende März 1932 bei 7.146 lag, sank bis zum 31. März 1933 auf 5.614. Ein Jahr später waren nur noch 1.563 Männer und Frauen arbeitslos gemeldet. Das wichtigste Arbeitsbeschaffungsprojekt im Dillkreis, bei dem 1933 rund 1.000 Arbeitslose beschäftigt wurden, war der Bau der Talsperre bei Driedorf. Bis Ende 1935 gab das NS-Regime über 5 Milliarden RM für Arbeitsbeschaffungsprogramme aus. Sie allein erklären jedoch nicht den schnellen Abbau der Arbeitslosigkeit. Vor allem entfaltete sich 1933 die Wirkung der von den Kabinetten von Papen und Schleicher eingeleiteten Maßnahmen. Die Weltwirtschaft entspannte sich. Auch die wachsende Zahl von Notstandarbeiten, die u.a. auch in Wetzlar stark angestiegen war, die Wiedereinführung der Wehrpflicht und Hitlers Rüstungs- und Autarkiepolitik ließen die Arbeitslosenzahlen sinken. Autarkie war Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie: Ziel war es, die deutsche Wirtschaft unabhängig vom Ausland zu machen. Eine vollständige Autarkie war für das rohstoffarme Deutschland nicht zu erreichen – dennoch gab es Schritte in diese Richtung, die mit Wohlstandsverlusten bezahlt werden mussten, da viele Güter im Inland nicht oder nur mit höheren Kosten hergestellt werden konnten. Ungeachtet dessen setzte das Regime auf inländische Rohstoffgewinnung, forcierte die Eisenförderung, setzte Anreize für die Erschließung neuer Vorkommen. Mit Erfolg: Stillgelegte Gruben nahmen den Betrieb wieder auf. Auch der Erzbergbau an Lahn und Dill erwachte zu neuem Leben. So stieg die Förderung der Buderus-Gruben 1933 auf 60.000 t und konnte bis 1939 auf 448.000 t gesteigert werden. Trotz dieser Steigerungsraten lag der Anteil deutscher Erze bei der inländischen Eisen- und Stahlerzeugung 1936 bei nur 18, 4 Prozent, sodass die Vierjahresplanbehörde auf eine Steigerung der Erzförderung drängte. Unterdessen erhöhten die Buderus‘schen Eisenwerke ihren Grubenfelderbesitz bis Ende 1938 auf 62 Prozent. Parallel dazu setzte eine Modernisierung der Gewinnungsmethoden, der Maschinen und Aufbereitungsanlagen ein, die einen Rationalisierungsschub mit sich brachte. Ob dieser dem heimischen Bergbau auch unter Marktbedingungen das Überleben gesichert hätte, ist fraglich.
Aufrüstung und Wirtschaftssteuerung
Die Autarkiebestrebungen waren Teil der Kriegsvorbereitungen, die das NS-Regime seit der Machtergreifung betrieb. Sie gingen einher mit der Wiederbewaffnung, dem Austritt aus dem Völkerbund im Oktober 1933 und der Wiedereinführung der Wehrpflicht 1935. Was als Arbeitsbeschaffungsprogramm fungierte, war nach Werner Plumpe ein „gigantisches, kreditfinanziertes Aufrüstungsprogramm das eine Verlagerung der Produktion auf rüstungsrelevante Bereiche bewirkte.“ Die Einkommen stagnierten, und während die Verbrauchs- und Konsumgüterindustrie kaum wuchsen, boomte die Rüstungsindustrie. Der Weg in den Krieg war vorgezeichnet. Einen organisatorischen Rahmen erhielt er durch die Vierjahrespläne: In einer geheimen Denkschrift zum zweiten „Vierjahresplan“ im August 1936 umriss Hitler seine Forderung, Wirtschaft und Wehrmacht innerhalb von vier Jahren kriegsbereit zu machen; und mit dem Aufbau einer Vierjahresplanbehörde hatten die Eingriffe von Staat und Partei in die Produktion ein neues Stadium erreicht. Die staatliche Steuerung der Preise ließ den Unternehmen der Eisenindustrie nur noch wenige Handlungsspielräume. Und durch die Forderungen, Eisen zugunsten der Stahlproduktion zu sparen, gerieten sie unter massiven Druck, der Ende 1937 bei den Burger Eisenwerken zu so starken Produktionseinschränkungen führte, dass Kurzarbeit und die Entlassung von zehn Prozent der Beschäftigten unabwendbar wurden. 1938 musste die Ofenindustrie ihren Eisenverbrauch noch weiter zurückfahren. Durch die Konstruktion neuer Ofenserien und die Verwendung von Ersatzstoffen gelang es jedoch, Produktionsprogramme zu erhalten und sogar zu erweitern: So nahmen die Burger Eisenwerke 1937 die Produktion von Großküchenanlagen auf, die nach dem Zweiten Weltkrieg große wirtschaftliche Bedeutung für das Unternehmen erlangten. Bei Buderus litt vor allem der Sanitär- und Bauguss unter dem Eisenmangel. Der Tübbingsbetrieb in Essen-Kray musste schließen, und aufgrund der Einsparungsforderungen von Gusseisen musste die Produktion von Öfen und Herden um 30 Prozent gedrosselt werden. Dies war der Erhöhung der Stahlproduktion geschuldet – die für die Rüstungsindustrie von herausragender Bedeutung war. Dies zeigte sich am Wachstum der Stahlwerke Röchling-Buderus AG, deren Beschäftigtenzahl zwischen 1933 und 1939 von 1.500 auf 4.100 angestiegen war. Auch bei Buderus stieg die Beschäftigtenzahl, der Umsatz vervierfachte sich. Nur die Gewinne stagnierten seit 1936. Während sich Buderus bis Ende der 1920er Jahre in ein Unternehmen der Gießereibranche mit eigener Rohstoffgrundlage gewandelt hatte, ging ab 1937 (vor dem Hintergrund des Vierjahresplans von 1936) die Bedeutung des Gießereisektors zurück, gleichzeitig kam es zu steigenden Verlusten im Rohstoffbereich. Bergwerksdirektor Dr. Witte bezifferte hier die „Zubuße“ allein für 1937 mit einer Million Reichsmark. Hinzu kam ein neues Problem – Arbeitskräftemangel. Er entstand durch die starke Regulierung des Arbeitsmarktes, bei der Gehälter durch den Treuhänder der Arbeit festgesetzt wurden – was zur Folge hatte, dass der Wettbewerb um Arbeitskräfte nicht mehr über Verdienstmöglichkeiten ausgetragen wurde. So litten Unternehmen 1936, als wieder Vollbeschäftigung herrschte, unter Personalmangel. Um Arbeitnehmer zu binden, weiteten sie soziale Angebote aus. Es entstanden Ausbildungswerkstätten; Betriebsausflüge, Kantinen, Weihnachtsprämien und verbesserte Sanitäranlagen wurden Standard. Für die Burger Eisenwerke erwuchs mit der Produktion von gussemaillierten Waschbrunnen ein neues Geschäftsfeld. Vor allem aber erlebte der Werkswohnungsbau einen Aufschwung. So baute die Neuhoffnungshütte Haas + Sohn 1938 im Bangertfeld im Süden von Sinn acht Doppelhäuser mit 16 Wohnungen und später weitere 29 Häuser mit 96 Wohnungen. Mittel dafür waren vorhanden, garantierten doch die staatlichen Aufträge steigende Umsätze. Um diese zu steigern, stiegen Unternehmen auf Kriegsproduktion um. Doch das Kompetenzwirrwarr zwischen Wehrmacht und staatlichen Stellen und kurzfristige Programmänderungen erschwerten die Planung – vor allem nach Ausbruch des Krieges. Cyrill Stoletzky