Nr. 84900
IHK-Präsident begrüßt Vorschläge

"Wichtiges Signal an unsere Mitgliedsunternehmen"

Pressemeldung vom 12. Oktober 2022

Das Präsidium der IHK Lahn-Dill begrüßt die die Vorschläge der Gaspreis-Kommission, mit denen Wirtschaft und Privathaushalte angesichts steigender Energiepreise ab diesem Winter entlastet werden sollen: „Die Vorschläge der Kommission sind pragmatisch und liefern – gerade in unserem industriestarken Kammerbezirk – ein wichtiges Signal an die Mitgliedsunternehmen, um in den kommenden Monaten die Produktion und damit die Beschäftigung in der Region aufrecht zu erhalten“, so IHK-Präsident Dr. Felix Heusler. „Gut ist, dass große Industriebetriebe bei den Vorschlägen genauso berücksichtigt werden wie kleinere, nicht-industrielle Unternehmen. Jetzt kommt es noch darauf an, dass seitens der Politik auch mit Hochdruck an einer gleichartigen Lösung für den außer Kontrolle geratenen Strompreis gearbeitet wird, und die Vorschläge schnell und unbürokratisch umgesetzt werden.“ Jedoch dürften die geplanten Entlastungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass weiterhin das Risiko einer Gasmangellage besteht, so der Präsident: „Gaseinsparungen bleiben deshalb zentrales Thema in der Wirtschaft, um durch die Energiekrise zu kommen. Darüber hinaus brauchen wir weitere Lösungen bei der Angebotsausweitung.“
Die Gaspreis-Kommission mit Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft hatte in der Nacht zum Montag für alle Gasverbraucher eine staatliche Einmalzahlung für den Monat Dezember und eine Deckelung des Gaspreises auf 12 Cent/kWh bis 80 Prozent des Verbrauchs ab März 2023 vereinbart. Gasintensive Industrieunternehmen sollen Gas für bis zu 70 Prozent des Verbrauchs zu einem Arbeitspreis von 7 Cent/kWh erhalten. Die Politik muss den Vorschlägen noch zustimmen.
Ladenöffnungen im Einzelhandel

Click & Meet im Kammerbezirk der IHK Lahn-Dill

Das diese Woche gestartete Click & Meet-Angebot im stationären Einzelhandel ist im Kammerbezirk der IHK Lahn-Dill verhalten bis gut angelaufen. „Unsere Einzelhändler haben ein vorwiegend positives Resümee der ersten Tage gezogen“, erklärt Claudia Wagner, Referatsleiterin Handel und Dienstleistungen bei der IHK Lahn-Dill. „Die Reaktionen unserer Mitgliedsunternehmen aus dem Bereich Einzelhandel zeigen, dass die Lockerungsschritte überfällig gewesen sind.“
„Die Kunden freuen sich, dass sie wieder einkaufen können. Ich habe stündlich Termine vereinbaren können“, berichtet Ulla Pfeifer von Pfeiffer-Hosen aus Herborn. Ähnliche Erfahrungen auch bei Anja Donges, Inhaberin des Bekleidungsgeschäfts Indigo in Biedenkopf: „Der erste Tag war der Knaller, Click & Meet wurde toll angenommen.“ Ihre Kunden hätten teilweise noch abends Nachrichten geschickt, um einen Termin zu vereinbaren. Allerdings habe sie auch viel Vorarbeit geleistet, um den Kontakt zu ihrer Stammkundschaft während des wochenlangen Lockdowns zu halten.
Corinna Wolf, Inhaberin des Geschäfts Piepmatz in der Wetzlarer Altstadt, zeigt sich ebenfalls glücklich, ihre Kundinnen wiedersehen zu können. Sie sei „dankbar“ dass es nun möglich sei, mit der Stammkundschaft wieder in Kontakt zu treten: „Auch unsere Kunden lechzen danach, wieder einkaufen gehen zu können.“
Im Modegeschäft von Pia Dietz in Braunfels funktionierte Click & Meet ebenfalls reibungslos, einige der Stammkundinnen seien gleich zum Wochenstart mit Terminen zum Anprobieren und Kaufen gekommen. Allerdings könnten sich durch „Click & Meet“ die Kunden schnell verpflichtet fühlen, etwas kaufen zu müssen, gibt die Geschäftsfrau zu bedenken. „Click & Meet ist schon etwas anderes, als unverbindlich zu bummeln und zu schauen“, so die Inhaberin von Pia Dietz Mode.
Im Wetzlarer Forum sind in dieser Woche 39 Mieter mit dem Click & Meet-Angebot gestartet. „Wir freuen uns, dass mit dem Click & Meet-Angebot jetzt wieder viele weitere Geschäfte in unserem Center öffnen und die Kunden persönlich mit Termin begrüßen dürfen. Das ist immerhin ein erster Schritt in Richtung Wiedereröffnung, auch wenn Click & Meet kein Ersatz für eine reguläre Öffnung der Geschäfte ist und vielen Händlern in ihrer schwierigen Lage nur sehr bedingt hilft“, erklärt Maximilian Schlier, Centermanager des Forums.
Die IHK Lahn-Dill betont, Click & Meet sei ein wichtiges Signal an den stationären Einzelhandel, könne aber nur der Einstieg in den Ausstieg aus dem Lockdown sein: „Um vernünftige Umsätze zu schreiben, Arbeitsplätze und die eigene Existenz sichern zu können, müssen bald die nächsten Öffnungsschritte erfolgen“, sagt IHK-Einzelhandelsexpertin Claudia Wagner.
IHK-Jubiläum

150 Jahre Wirtschaftsgeschichte


Folge IV: Zu Zeiten der Weimarer Republik (Teil 1)

Arbeitskämpfe, Inflation und Kreditnot

Unser Bild der Weimarer Republik wird maßgeblich von der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise bestimmt. Bis dahin jedoch war die Lage keineswegs schlecht. Bis Herbst 1922 herrschte nahezu Vollbeschäftigung, bis der Arbeitsmarkt  unter den Auswirkungen der Hyperinflation zusammenbrach. Nach Überwindung der Inflation und der darauffolgenden Deflation trat 1926 eine konjunkturelle Erholung ein. Allerdings blieben die seit Ende 1923 gestiegenen Arbeitslosenzahlen auf hohem Niveau und sorgten für soziale Konflikte. Generell litt die Wirtschaft unter Überkapazitäten einerseits und hohen Lohnkosten und Sozialabgaben andererseits. Das schmälerte die Erträge und verhinderte Investitionen. Um konkurrenzfähig zu bleiben, setzten die Unternehmen auf Rationalisierung.
Friedensvertrag, Massenstreiks und Inflation
Mit der Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrags am 11. November 1918 musste die deutsche Wirtschaft auf Friedensproduktion umstellen. Dieser abrupte Übergang bereitete vielen Unternehmen massive organisatorische Probleme. Insbesondere Rüstungsbetriebe litten darunter, binnen vier Wochen ihre Produktion neu auszurichten. Demobilmachungsausschüsse sollten die Umstellung erleichtern, doch die gerieten schnell an die Grenzen ihrer Möglichkeiten.  Angesichts der prekären Lage vieler Betriebe genehmigten sie zahlreiche Anträge auf Fristverlängerung, die es den Unternehmen erlaubten, die Kriegsproduktion befristet als  „Notstandarbeiten“ fortzusetzen, um sie so vor dem völligen Zusammenbruch zu bewahren. Die Demobilisierungsausschüsse wurden am 31. März 1921 aufgelöst und durch Demobilmachungskommissare ersetzt, die bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme ihren Dienst taten.
Nach der schwierigen Umstellung auf Friedensproduktion gab es neue Probleme zu bewältigen. 1919 klagte die Handelskammer Dillenburg über eine „beständige Preiserhöhung“, die Hand in Hand mit Lohnerhöhungen gehe und die Inflation anheize. Ferner schädigten fehlende Transportkapazitäten die Produktion der Hüttenwerke. 1920 ging die Kammer mit dem Versailler Friedensvertrag hart ins Gericht. Mit den Rahmenbedingungen, besonders der Besetzung des Rheinlands und den Reparationslasten, sei dieser „eine Fortsetzung des Krieges nicht einmal mit anderen Mitteln“. 
Arbeitskämpfe, die nach Kriegsende auch das Lahn-Dillgebiet erfassten und von der von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden gebildeten Zentralen Arbeitsgemeinschaft (ZAG) nur unzureichend abgemildert werden konnten, verschärften die Lage. Ein berühmtes Beispiel dafür ist der Metallarbeiterstreik, der am 10. Januar 1921 begann, elf Wochen dauerte und auch andere Branchen erfasste. Die Unternehmen reagierten mit Aussperrungen und Kündigungsdrohungen; bei vielen Streiks kam es zu Ausschreitungen, sodass die Polizei Panzerwagen einsetzen musste. Ein Streik der Former bei den Burger Eisenwerken am 14. Juni 1928 griff auf die anderen Eisenwerke über und konnte erst durch die Vermittlung eines Sonderschlichters beendet werden. Noch bis zur Machtergreifung der Nazis erschütterten immer wieder heftige Arbeitskämpfe alle Teile der krisengeschüttelten Weimarer Republik. 
Mitte 1923 kam es zum dramatischen Währungsverfall. Massenentlassungen verursachten erneut heftige Unruhen. Die Inflation, die der exportorientierten Industrie durchaus Vorteile verschafft hatte, hatte nun Formen angenommen, die jede Kalkulation unmöglich machten. Das Missverhältnis zwischen auf dem Papier ausgewiesenen „Gewinnen“ und dem tatsächlichen Substanzverlust wurde immer dramatischer. Die Reichsbank hielt mit der Ausgabe neuer Banknoten nicht Schritt, und so ließen Unternehmen, Körperschaften und Kommunen ab August eigenes Geld drucken. Auch die Kreise Biedenkopf und Dillenburg gaben 1.000-Mark-Scheine aus. Von diesem „Ersatzgeld“ unterschied sich das wertbeständige Notgeld, das durch Goldanleihen oder Sachwerte gedeckt war. Die IHK Wetzlar legte Scheine im Gesamtwert von 314.942 Goldmark auf, die für Lohn- und Gehaltszahlungen verwendet wurden.
Die Hochinflation des Jahres 1923 in Verbindung mit der Besetzung des Ruhrgebiets und der Unterbrechung der Kohleversorgung brachte die Produktion vorübergehend zum Erliegen. Betroffen waren zahlreiche Unternehmen - vom Fürstlich Solms-Braunfels´schen Gertrudisbrunnen und der Zigarrenfabrik Georg Wilhelm Gail bis hin zur Carolinenhütte, die im Oktober 1923 ihre Stilllegung anmeldete. Selbst Buderus legte seinen Kalksteinbruch Niedergirmes am 1. 6.1923 still. Einigen Firmen wie Leitz gelang es, mit gestreckter Arbeitszeit die Produktion fortzusetzen.
Kreditnot
Nach Überwindung der Inflation traten keineswegs wieder geordnete Verhältnisse in der Unternehmenslandschaft an Lahn und Dill ein. Im Gegenteil: 1924 herrschte Deflation – mit katastrophalen Folgen für die Unternehmen. Sie hatten große Schwierigkeiten, Kredite zu erhalten und litten unter Liquiditätsengpässen. „Das Berichtsjahr 1925“, bemerkt die IHK Wetzlar, „steht im Zeichen einer (…)  Kapitalnot, die das Wirtschaftsleben heftig erschüttert.“ Besonders schwierig war die Situation für Ofen- und Herdproduzenten, denen der stockende Wohnungsbau Absatzprobleme bereitete. Viele sahen sich angesichts der durch die Kapitalknappheit verursachten Verschuldung gezwungen, ihre Betriebe still zu legen. Den anderen Unternehmen der Eisenindustrie ging es nicht besser: So legte der Hessen-Nassauische Hüttenverein am 18. Juli 1924 das Hochofenwerk Oberscheld still; die Neuhoffnungshütte Haas + Sohn kündigte der gesamten Belegschaft zum 19. Juli. Zur gleichen Zeit legten die Burger Eisenwerke das Eisenwerk Ehringshausen und kurz darauf zwei weitere Betriebe still. Zwar lief die Produktion meist überall nach wenigen Wochen wieder an, doch Ende September 1926 war die Belegschaftsstärke bei den meisten Betrieben noch weit vom Normalstand entfernt.  Die Krisen der Nachkriegsjahre waren keineswegs ausgestanden – und am schwersten war wieder der Bergbau betroffen.
Die Krise des Erzbergbaus
Der Verlust der lothringischen Erzlager als Folge der Abtretung Elsaß-Lothringens an Frankreich machte zwar das Lahn-Dill-Revier und das Siegerland wieder zum größten Eisenerzgebiet Deutschlands, doch davon profitierten die Bergbauunternehmen nur für kurze Zeit: Denn bereits Mitte 1920 drängten wieder Auslands- und Übersee-Erze auf den deutschen Markt. Hinzu kam, dass die Eisenbahnverwaltung 1919 alle Ausnahme- und Notstandstarife für Lahn-Dill-Erze aufgehoben hatte. Die Streiks im Bergbau und in der Eisenindustrie verschärften die Lage noch zusätzlich. So zwang der Metallarbeiterstreik 1921 die Buderus´sche Bergverwaltung, zunächst Feierschichten einzulegen und schließlich ganze Zechen stillzulegen.
Die Deflation der Jahre 1924 – 1926 setzte den Eisenerzbergbau weiter unter Druck. Dramatische Absatzstockungen führten zu zahlreichen Grubenstillegungen. Als im Herbst 1924 auch die Burger Eisenwerke die Förderung aussetzten, wurden 500 Bergleute arbeitslos. 1925 lag die Eisenerzproduktion des Lahn-Dill-Gebiets bei knapp 502.000 t, was einem Drittel des Ergebnisses von 1913 entspricht. Unter dem Druck dieser Entwicklung gewährten Reichs- und Preußische Regierung dem Eisenerzbergbau im Sieg-, Lahn- und Dillrevier zum 1. Juni 1926 eine Absatzprämie von 2 RM pro t und fünf Monate später einen Ausnahmetarif, der eine Senkung der Transportkosten bis zu zehn Prozent brachte. Diese Subventionen verbesserten die Absatzlage und ermöglichten den Gruben, Ersatzinvestitionen nachzuholen und ihre Anlagen zu modernisieren. Nach einem halben Jahr wurden die Subventionen wieder reduziert, liefen schließlich ganz aus, wurden jedoch vom 1. April 1929 bis zum 31. März 1932 in kleinerem Umfang wieder aufgenommen. Sie bewahrten den Eisenerzbergbau vor dem völligen Erliegen.
Einen weiteren positiven wirtschaftlichen Impuls in zumindest bescheidenem Rahmen mag der vom „Fulda-Lahnkanalverein“ erkämpfte Teilausbau der Lahn bewirkt haben: Nach langem Hin und Her wurde ein von der Mündung bis nach Steeden ausgebauter Streckenabschnitt im Frühjahr 1929 dem Verkehr übergeben. Doch die Umschlagszahlen blieben angesichts der bald einsetzenden Weltwirtschaftskrise weit hinter den Erwartungen zurück, sodass der weitere Ausbau bis Wetzlar unterblieb.
Konzentrationsprozesse in der Eisenindustrie
Auch die Hüttenwerke kämpften mit massiven Problemen: Es kam zur Stilllegung zahlreicher Hochöfen. 1925 legten die Buderus‘schen Eisenwerke die Georgshütte still, 1927 erlitt die Haigerer Hütte das gleiche Schicksal.  Nur die leistungsfähigsten Hütten in Wetzlar und Oberscheld überstanden die 20er Jahre. Allerdings fand auch das Hochofenwerk Oberscheld des Hessen-Naussauischen Hüttenvereins nach Kriegsende nicht mehr zu einem kontinuierlichen Betrieb zurück.  Geschwächt durch Kohlemangel, Brennstoffversorgungsdefizite und Weiterverarbeitungsprobleme durch die firmeneigenen Gießereien, wurde im März 1926 Hochofen II ausgeblasen und an seiner Stelle der seit 1917 still liegende Hochofen 1 wieder in Betrieb genommen. Für den Betrieb von zwei Hochöfen fehlte es an Koks. 1927 setzte ein kurzer Aufschwung ein; Rationalisierungsmaßnahmen steigerten Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit des Hochofenwerks Oberscheld und damit des Gesamtunternehmens - allerdings zum Preis der Überschuldung.
Auch das Stromgeschäft der Hessen-Nassauischen Überlandzentrale GmbH litt unter den Betriebseinschränkungen des Hochofens. Der Hessen-Nassauische Hüttenverein verkaufte sie daher  zum 1. 1. 1925 an den Bezirksverband Wiesbaden, der sie in die Naussauische Energie-GmbH einbrachte. Den gleichen Weg beschritt vier Jahre später auch Buderus mit dem Verkauf der Überlandzentrale Wetzlar an die Preußen Elektra AG. Insgesamt überstand die Buderus´sche Eisenwerke AG die Kriegs- und  Nachkriegsjahre besser als der Hessen-Nassauische Hüttenverein, denn der Konzern verfügte über mehrere Eisen verarbeitende Betriebe, die eine breite Palette von Produkten abseits des hart umkämpften Ofen- und Herdmarktes anbot und so gegen Konjunkturschwankungen gewappnet war. 1923 erwarb Buderus die Maschinen- und Armaturenfabrik vorm. H. Breuer & Co. Etwa zur gleichen Zeit versuchten die Röchlingschen Eisen- und Stahlwerke in Völklingen, Buderus zu übernehmen. Schließlich kam es zu einer Kooperation beider Unternehmen auf dem Edelstahlsektor. Am 29. 4. 1920 gründeten sie die Stahlwerke Buderus-Röchling AG, die mit Werkzeug-, Konstruktions-, Messer- und Feilenstählen an den Markt ging und bei voller Auslastung 1.200 Mitarbeiter beschäftigte.
Auch bei den Gießereien und den anderen Eisenverarbeitungsbetrieben gab es Übernahmeversuche und Fusionsbestrebungen; sie scheiterten jedoch am Widerstand der Eigentümerfamilien, die gegenüber fremdem Kapital misstrauisch waren und um ihre Unabhängigkeit fürchteten.
 
Optische und Feinmechanische Industrie
Am besten  kam die optische und feinmechanische Industrie durch die Wirren der Weimarer Republik. Bis auf den Streik im Frühjahr 1921 war sie nicht von Arbeitskämpfen betroffen, weil die Branche aus produktionstechnischen Gründen weitgehend den Achtstundentag eingeführt hatte und meist eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Betriebsräten pflegte.  Auch die Beschäftigtenzahlen belegen, dass es den Unternehmen wirtschaftlich relativ gut ging, Bei Leitz stieg die Zahl der Beschäftigten bis 1930 auf rund 2.400. Selbst in der Weltwirtschaftskrise gab es kaum Entlassungen oder Lohnreduzierungen. Sein Arbeitsfeld hatte der Projektionsapparate-, Fernrohr- und Filmprojektorspezialist schon vor dem Ersten Weltkrieg auf Mikroskope zur Untersuchung von Metallen und Mineralien ausgedehnt. Nach dem Krieg fand Leitz schnell wieder Anschluss an die technische Weltspitze. Die Produktion der „Leica“ (1924) wurde ein beispielloser Erfolg und zählt heute zu den Meilensteinen der Fotografieentwicklung. Die Produktion erreichte 1930 ca. 22.000 Stück, von denen die meisten in den Export gingen.
Die Firma Hensoldt & Söhne, die noch bis 1914 in den Heeresverwaltungen Abnehmer gefunden hatte, musste sich nach dem Krieg verstärkt um private Abnehmer bemühen. Dies gelang mit Fernrohren und Kleinmikroskopen, die ab 1921 in großer Stückzahl hergestellt wurden. 1927 belebte Hensoldt die Branche mit einem innovativen Epidiaskop. Da Kapital für weitere Investitionen fehlte, suchte Hensoldt Anlehnung an die Firma Carl Zeiss in Jena, die 1928 die Aktienmehrheit bei Hensoldt übernahm. Dies blieb der einzige Zusammenschluss von optischen und feinmechanischen Unternehmen im Raum Wetzlar.
Begünstigt durch die Inflation entstanden zwischen 1919 und 1922 viele kleine Maschinenbau- und Feinmmechanische Unternehmen, von denen einige nach 1923 wieder verschwanden, sich aber ebenso viele auf dem Markt etablierten. So auch  die mechanische Werkstatt Robert Klings, der mit Rollen- und Kugellagern begann, rasch expandierte und 1927 in einen Fabrikneubau umsiedelte. Den Übergang von handwerklicher zu industrieller Fertigung vollzogen auch die 1882 gegründete Waagebauwerkstatt von Friedrich Dietrich I. in Merkenbach und die Optikmaschinenfabrik Loh in Wetzlar. Ein innovatives Unternehmen des Maschinenbaus kam 1919 hinzu, als der Ingenieur Carl Cloos in Haiger eine Apparatebau-, Maschinen und Metallwarenfabrik eröffnete, nach wenigen Jahren 80 Mitarbeiter beschäftigte und schließlich Aufträge aus der UDSSR, aus Frankreich und der Schweiz erhielt.                                                              
Cyrill Stoletzky
 
 
 
Folge III: Erster Weltkrieg erschüttert die Wirtschaft

Der Weltenbrand

Trotz konjunktureller Schwankungen, technologischer Umwälzungen und strukturellen Wandels war Wirtschaft an Lahn und Dill bis 1914 tendenziell gewachsen und hatte der Region einen Wohlstand beschert, an dem in bescheidenem Maße auch die Arbeiterschaft Teil hatte. Diese Entwicklung wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 jäh unterbrochen.
Die Situation war dramatisch: Handwerks- und kleingewerbliche Betriebe mussten nach der Einberufung ihrer Inhaber schließen. Als der Vormarsch im Westen zum Stehen kam und in einen Stellungskrieg überging, wurden Rohstoffe, Energie, Transportkapazitäten, Arbeitskräfte und Lebensmittel immer knapper und unterlagen strengsten Kontigentierungen. Auf Zuteilung konnten nur „kriegswichtige“ Betriebe hoffen. Die gesamte Produktion war den Bedürfnissen der Rüstungsindustrie unterworfen.
Von zentraler Bedeutung für die Kriegswirtschaft war die Eisen- und Stahlerzeugung. Doch die stand gleich zu Kriegsbeginn vor einem großen Problem. Hatten die deutschen Hüttenwerke noch bis zur Mobilmachung ihren Erzbedarf im Ausland gedeckt, war dies nicht mehr möglich, da die spanischen Erze durch die englische Blockade ausblieben und die Importe aus Schweden wegen Devisenmangels zurückgingen. Dafür fanden die inländischen Vorkommen, die wegen ihres zu geringen Eisengehalts als wertlos galten und ungenutzt auf Halde lagen, wieder guten Absatz. Stillgelegte Gruben wurden in Betrieb genommen, einige sogar technisch ausgebaut. Und die Bergbauproduktion an Lahn und Dill erreichte trotz des kriegsbedingten Mangels vieler Hilfsmittel neue Höchstwerte - und übertraf sogar die Rekordergebnisse der frühen 1870er Jahre. Die deutsche Roheisenproduktion verzeichnete dagegen in den beiden ersten Kriegsjahren aufgrund des Kohlemangels einen massiven Rückgang. Erst 1916 trat dank des „Hindenburg-Programms“, das auf eine Fokussierung sämtlicher Ressourcen auf die Produktion von Kriegsgütern zielte, eine kurzzeitige leichte Steigerung ein, die jedoch hinter den Ergebnissen der Vorkriegszeit zurück blieb.
Die kriegsbedingten Einschränkungen trafen die deutsche Eisenindustrie schwer. So kam der Hochofenprozess beim Hessen-Nassauischen Hüttenverein und den Buderus´schen Eisenwerken schon in den ersten Kriegswochen wegen fehlender Transportkapazitäten fast völlig zum Erliegen. Engpässe bei der Koksversorgung zwangen das Oberschelder Hüttenwerk zu Betriebsunterbrechungen, bis im Dezember 1917 Hochofen I ganz ausgeblasen wurde. Darunter litt auch die Stromerzeugung. Immer wieder musste die Überlandzentrale des Hüttenvereins die Stromabgabe einschränken oder sogar einstellen. Die Buderus’schen Eisenwerke befanden sich in einer günstigeren Lage, besaßen sie doch mit der Zeche Massen in Unna eine eigene Kohlen- bzw. Koksgrundlage, sodass ihre Brennstoffversorgung weitgehend gesichert war. Außerdem suchten die Kriegswirtschaftsstellen die Eisen- und Stahlerzeugung aus Effizienzgründen auf die leistungsstärkeren Hütten zu konzentrieren. Hierbei war Buderus schon allein auf Grund seiner Größe im Vorteil. Obwohl auch die Sophienhütte ihre Produktion weitgehend auf militärische Bedürfnisse ausrichtete, blieb Spielraum für technische Innovationen. So entwickelte Buderus 1915 einen Heizkessel mit Ölfeuerung, der für dickflüssige Öle ausgelegt war. Im gleichen Jahr nahm das Unternehmen die Stahlproduktion auf. Auf dem Gelände der Sophienhütte entstand eine Stahlgießerei mit zwei Siemens-Martin-Öfen von je 6 t Fassungsvermögen. Zwei größere Öfen gingen 1917 in Betrieb.
Personalmangel war ein Problem, das die gesamte Wirtschaft traf. Allein Buderus verlor durch Einberufungen rund 3.000 seiner 8.000 Beschäftigten. Bereits bei der Mobilmachung mussten einige Grubenbetriebe vorübergehend schließen, weil ihnen die Arbeitskräfte ausgingen. Die Grube Maria behalf sich zunächst mit 16 jugendlichen Arbeitsfreiwilligen aus der Türkei und setzte später zusätzlich 30 französische Kriegsgefangene ein. Buderus beschäftigte 1916 rund 1.584 französische Kriegsgefangene sowie 545 Frauen. Um die Lebensmittelversorgung ihrer Beschäftigten zu verbessern, gründeten die Buderus’schen Eisenwerke 1915 den „Buderus-Haushalt“, der den Konsumvereinsgedanken auf die Kriegsverhältnisse übertrug.
Umstellung der Produktion
Den Eisengießereien und Maschinenfabriken bereitete die Umstellung ihrer Produktion auf Kriegsgüter wenig Probleme. Die Maschinenfabrik Doering in Sinn goss seit November 1914 im Auftrag der Sieg-Rheinischen Lokomotivfabrik 10-cm-Granaten und drehte schon wenig später selbst Granaten ab. Anfang 1917 verlegte sich das Unternehmen wieder ganz auf die Herstellung von Pumpen, die in den Schützengräben zur Entwässerung und Entschlammung gebraucht wurden. Probleme ergaben sich für die Eisen verarbeitende Industrie weniger auf der Nachfrage- als auf der Produktionsseite. Dies musste auch die Neuhoffnungshütte Haas + Sohn feststellen. Als größter kontinentaler Produzent von Hufeisen verfügte der Betrieb über zahlreiche Aufträge, war jedoch wegen Rohstoff- und Kohlenmangels und fehlender Arbeitskräfte außer Stande, allen nachzukommen. Dass die Ofenproduktion dennoch gesteigert werden konnte, lag daran, dass vor allem tragbare Feldöfen für die Schützengräben hergestellt wurden. Die Burger Eisenwerke produzierten Kessel und Feldöfen für das Heer. Die Schelderhütte lieferte Kochgeschirre, Feldöfen und Grauguss - und drehte seit 1915 auch Stahlgussgranaten ab. Zusätzlich wurden mit der Reichsfuttermittelstelle in Berlin Verträge über die Trocknung von Laubheu, Futterrüben und Bucheckern abgeschlossen. Diese Verträge dokumentieren eindrucksvoll die Zwangslage der Unternehmen. Denn sie zeigen, wie massiv sie zu Umstellungen in der Produktion gezwungen waren, wollten sie überleben. Nicht selten jedoch erwuchsen daraus neue, den Krieg überdauernde Produktionszweige: So war die kriegsbedingte Drosselung der Leimproduktion für die Leimfabrik Ph. Carl Weiss 1916 der entscheidende Impuls zum Bau einer Fettextraktionsanlage. Die entfetteten Rückstände wurden zu organischem Dünger verarbeitet. Nach der Inflationszeit baute Weiss das Kunstdüngergeschäft erfolgreich weiter aus und errichtete ein Lagerhaus mit eigenem Gleisanschluss. Auch die Isabellenhütte Heusler GmbH bewies unternehmerische Flexibilität. Seit 1905 lieferte die Firma seewasserbeständige Resistinbronze und Widerstandsdrähte aus Mangankupfer an die Marinewerften in Kiel-Gaaden und Danzig. Diese Geschäftsbeziehungen wurden mit Kriegsbeginn intensiviert. Kaiserliche wie auch privatwirtschaftliche Werften orderten in großen Mengen Resistinbronze, und als im März 1915 die Rohstoffvorräte zur Herstellung von Elektrolytkupfer zur Neige gingen, begann die Isabellenhütte nach Ersatzlegierungen zu suchen. Mit Erfolg: 1917 erhielt sie Patente auf Verfahren zur Herstellung von Mangan-Aluminium-Kupfer und von Mangankupfer mit geringem Eisenanteil.
Unterschiedliche Ausgangslage
Für die Unternehmen der optischen und feinmechanischen Industrie war die Ausgangslage bei Kriegsausbruch unterschiedlich. Qualifizierte Feinmechaniker und Optiker konnten nicht durch ungelernte Kräfte ersetzt werden. So konzentrierte man die verbliebenen Facharbeiter auf wenige leistungsstarke Betriebe, die ihre Produktion erheblich steigerten, während viele kleine Betriebe geschlossen wurden. Die Hensoldt & Söhne GmbH gehörte schon vor dem Krieg zu den großen Heereslieferanten. Sie konnte deshalb das gewohnte Produktionsprogramm weitgehend beibehalten. Hergestellt wurden Prismengläser, Ziel-Dialyte, Entfernungsmesser und - ab 1915 - militärische Zielfernrohre und Halbscherenfernrohre, 1916 Periskope und Rundblickfernrohre. Dagegen musste W. & H. Seibert die Produktion einstellen und sich mit wenigen Hilfskräften auf Reparaturarbeiten beschränken. Eine finanzielle Krise führte das Unternehmen 1917 zu einer Zusammenarbeit mit Leitz, die dann in eine Übernahme mündete. Die Ernst Leitz GmbH, die sich auf Mikroskopbau spezialisiert und erst 1906 mit dem Fernrohrbau begonnen hatte, musste 1914 ihr Produktprogramm umstellen. Nach Kriegsbeginn fertigte Leitz Zünder, baute eine Abteilung für optische Kriegsinstrumente auf und produzierte neben Fernrohren auch Sehrohre für Schützengräben, Artillerie-Richtkreise, Maschinengewehr-Zielfernrohre und Kameras für Flugzeuge.
Dramatischer Arbeitskräftemangel
Mit zunehmender Kriegsdauer nahm der Arbeitskräftemangel immer dramatischere Formen an. Um diesen wenigstens teilweise zu kompensieren, wurden zunehmend Frauen und Kriegsgefangene in der Produktion eingesetzt und ab 1917 arbeitsschutzrechtliche Schutzvorschriften für Frauen und Jugendliche außer Kraft gesetzt. Die Unternehmen erhielten Sondergenehmigungen zur Einführung von Arbeitszeitverlängerungen und Schichtarbeit. Der Firma Berkenhoff & Drebes bestätigte die Handelskammer Wetzlar, „dass dieselbe mit einem Arbeiter- und Beamtenstand von 720 Mann in ihren Betrieben Asslarerhütte bei Wetzlar und Merkenbach bei Herborn z.Zt. ausschließlich unter Anspannung aller Kräfte in ununterbrochenen Tag- und Nachtbetrieb mit der Ausführung von mittelbaren und unmittelbaren Heereslieferungen beschäftigt ist.“ Ihr Antrag auf Beschäftigung von 13 jugendlichen Arbeitern im Alter von 14 bis 15 Jahren und elf Frauen in elf- bis dreizehnstündigen Nachtschichten wurde daraufhin genehmigt. Ähnliche Ausnahmegenehmigungen erwirkten die Firmen „Bogerts“ Maschinenfabrik in Haiger, eine Eisengießerei und Fabrik, die Frauen mit dem Schruppen von Granaten und dem Eindrehen von Rillen beschäftigte, die Firma Wilhelm Oberding in Sinn, die in Friedenszeiten Pumpen herstellte und nun Granaten abdrehte, und die Maschinenfabrik Roth GmbH in Roth, die Jugendliche unter 16 Jahren in Nachtschichten Granaten bearbeiten ließ. Im Juni 1917 erhielten auch die Burger Eisenwerke GmbH und die Gießerei und Maschinenfabrik Haiger GmbH Ausnahmegenehmigungen. Auch andere Branchen ordneten Überstunden und Nachtarbeit für Jugendliche und Frauen an. Mit der Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrags am 11. November 1918 wurde das Ende des ersten Weltkriegs offiziell besiegelt. Die Wirtschaft im Lahn-Dill-Gebiet stand vor einer neuen, nicht einfachen Aufgabe – der abrupten Umstellung auf „Friedensproduktion“.
Cyrill Stoletzky
 
 
Folge I: Region im Wandel

Auf dem Weg ins Industriezeitalter

Sie waren arm, die Menschen, die um 1815 das heutige Lahn-Dill-Gebiet bewohnten. Und sie bestritten tapfer ihre Existenz.
Der erste Jahresbericht der Handelskammer Dillenburg aus dem Jahr 1865 dokumentiert eindrucksvoll ihre Situation. „Die Bevölkerung“, heißt es,  „befand sich in einer gedrückten Lage, die landwirtschaftlichen Erzeugnisse reichten nicht aus, um die Bedürfnisse zu decken.“ Doch dieser Existenzkampf, dem die kleinen Bauern täglich ausgesetzt waren,  trug bereits den Keim der Veränderung in sich. Denn schon „Anfang der zwanziger Jahre“, heißt es im selben Jahresbericht, „fing der Bergbau an, sich zu beleben, und die Eisenindustrie  gewann (…) an Ausdehnung. Mit dem Aufschwung dieser Industrie hat sich auch der Wohlstand der Bevölkerung gehoben – anfangs langsam, in der letzten Zeit rascher.“
Für den Wirtschaftshistoriker ist klar, wovon in diesem Bericht die Rede ist: Die besondere Energie, die das Lahn-Dill-Gebiet in nur 50 Jahren erfasste und nach vorne trieb - das waren die Anfänge der industriellen Revolution: jene tiefgreifende Umgestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse,  die zur Ausbildung des modernen Industriezeitalters führen sollte. Das heutige Lahn-Dill-Gebiet, seinerzeit noch zum Herzogtum Nassau, zu Preußen und zum Großherzogtum Hessen zählend, nimmt in dieser Entwicklung eine Sonderstellung ein. Zwar vollzog sich der Wandel in diesen eisenerzreichen Landschaften an Dill, Oberer und Mittlerer Lahn nicht so rasant wie in anderen Gebieten Deutschlands. Gleichwohl war er vorhanden und prägte auch diese Region. Und gerade an ihrer Entwicklung zeigt sich, wie entscheidend veränderte Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsfortschritt waren – auf allen Ebenen. Jede Veränderung benötigt Impulsgeber. Worin genau lagen im „hessischen Eisenland“ die Triebkräfte der Industrialisierung? 
Drei entscheidende Veränderungen verdanken sich den Napoleonischen Kriegen. So wurde bis 1813 die Bauernbefreiung vollzogen. Der Landwirt konnte somit seinen Arbeitsplatz frei wählen und genoss persönliche Freiheit. Und dank der sich nach und nach durchsetzenden Gewerbefreiheit bedurfte es für die Ausübung eines Handwerks nur noch eines Gewerbescheins. Wer ihn besaß, konnte sich überall im Land niederlassen und seine Produkte verkaufen. Der Abschied von den alten Zunftverfassungen vollzog sich unterschiedlich rasch: Während das Großherzogtum Nassau diese bereits 1819 aufhob, blieb sie in Preußen bis zur Preußischen Gewerbeordnung vom 17.1.1845 in Kraft. Das Großherzogtum Hessen hielt an der Zunftverfassung bis zum 18.2. 1866  fest, weichte diese aber durch  Ausnahmeregelungen auf, die den Einfluss der Zünfte so schwächten, dass sich viele von selbst auflösten. 1863 standen 16.774 freie Gewerbetreibende nur 4.226 zünftigen Handwerkern gegenüber. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zu wirtschaftlicher Autonomie war damit getan, doch die vielen Zollgrenzen, denen das aus Kleinstaaten bestehende Deutschland ausgesetzt war, erwiesen sich noch als Hemmnis. Genau diese wurden sukzessive abgeschafft. Mit der Gründung des Deutschen Zollvereins zum 1. 1. 1834 entstand – als vorläufiger Höhepunkt der Entwicklung - ein einheitlicher Wirtschaftsraum, dem zunächst Preußen und das Großherzogtum Hessen, 1836 auch das Herzogtum Nassau beitraten, sodass der Bezirk der heutigen IHK Lahn-Dill zollpolitisch vereinigt war. Doch wie war es um die Menschen bestellt, die den Wandel begleiteten und  letztlich umsetzten? Sie waren Arbeiter und Landwirte zugleich. Die Mehrheit der Bevölkerung lebte zwar von der Landwirtschaft, ein großer Teil jedoch arbeitete nebenbei in Erzgruben-, Hütten und Hammerwerken. „Der Arbeiter unserer Gegend“, schreibt der Historiker Hugo Bangert, „ist kein eigentlicher Industriearbeiter. Verteilt in den einzelnen Dörfern wohnend, ist er im Besitz eines Hauses mit Land und Viehhaltung. Seine freie Zeit nutzt er zur Bestellung des Ackers, der ihm neben dem gewerblichen Arbeitsverdienst eine bessere Lebenshaltung ermöglicht. Ein solcher bodenständiger Arbeiterstamm bildet für die Lahn-Dill-Industrie eine Voraussetzung für ihre gedeihliche Entwicklung.“  Der Arbeiter an Lahn und Dill sah sich nicht als klassischer Proletarier – ein Grund, warum die sozialdemokratischen Gewerkschaften dort schwerer Fuß fassten als beispielsweise im Ruhrgebiet.    
Doch günstige gesetzliche Rahmenbedingungen und gute mentale Voraussetzungen der fleißigen Bevölkerung allein setzten die Industrialisierung noch nicht in Gang. Noch fehlten weitere wichtige Impulse zum Aufbau einer modernen kommunalen und verkehrstechnischen Infrastruktur. Doch auch das sollte sich bald ändern. Zwischen 1863 und 1865 wurden in Dillenburg, Wetzlar und Herborn Gaswerke errichtet. Das vorhandene Telegrafennetz wurde modernisiert, viele Telegrafenbüros aus Außenbezirken in Stadtzentren verlegt. Auch die für das abseits der großen Verkehrsströme gelegene Lahn-Dillgebiet notwendige Verkehrserschließung wurde vorangetrieben. Und da es für die Bergbauregion Lahn Dill vor allem um die Abfuhr der Erze ging, bedeutete dies zunächst den Ausbau der Lahn zum Schifffahrtsweg. In vielen Teilschritten wurde durch Schleusenbau, Fahrrinnenvertiefung und weitere Maßnahmen die Lahn so ausgebaut, dass an entscheidenden Standorten und Knotenpunkten der Transport der Erze von den Gruben verbessert werden konnte. Doch die Blütezeit der Lahnschifffahrt währte nur kurz: Obwohl sich zwischen 1846 und 1849 der Güterverkehr verdoppelt hatte, mehrten sich ab 1850 Stimmen, die nach der Eisenbahn riefen. Und damit nach und nach ein neues Zeitalter auch an Lahn und Dill einläuteten.
Schon einige Jahre nach Gründung des ersten „Zentral-Bahnkomitees“ 1858 wurde der erste Teilabschnitt von Oberlahnstein nach Bad Ems dem Güterbahnverkehr übergeben. Am 5. Juli 1862  erreichte die Lahntalbahn Limburg, am 14. Oktober Weilburg und am 10. Januar 1862 Wetzlar. Und mit der Eröffnung der Deutz-Gießener Eisenbahn war das Eisenbahnzeitalter endgültig angekommen an der Lahn, und das war ein Segen für die Region: Der Eisensteinbergbau in den von der Bahn berührten Revieren Siegen, Dillenburg und Wetzlar, stellte das Oberbergamt Bonn 1865 fest, hatte einen enormen Aufschwung genommen. Dies bestätigte die Handelskammer Dillenburg zwei Jahre später. „Die Verbindung unserer Gegend mit dem Weltverkehr“, hieß es, war von „mächtiger Einwirkung auf die industrielle Thätigkeit und das Wachsen des Wohlstands“. Ein Grund, warum die Bahnverbindungen durch Stich- und Nebenbahnen wie die Diethölztalbahn, die Biebertalbahn und die am 16. Juni 1894 eröffnete Ernsttalbahn ausgebaut wurden, um die lokalen Erz- und Hüttenwerke transporttechnisch noch besser anzubinden.
War sie also da, die industrielle Revolution an der Lahn? Ja und nein.
Zweifellos war der strukturelle Wandel vorhanden, verlief aber nicht so revolutionär wie in anderen Städten. Das zeigt auch die Bevölkerungsdichte, die in Wetzlar, Biedenkopf und Dillenburg zwischen 1867 und 1910 um 37 Prozent stieg, aber unter dem Durchschnitt des heutigen Hessen lag, dessen Bevölkerung in derselben Zeit um 61, 2 Prozent gewachsen war. 1875 lebten immer noch 57, 3 Prozent aller Erwerbstätigen von der Landwirtschaft, ihnen standen 42, 7 Prozent Handwerker und Industriearbeiter gegenüber. Wetzlar industrialisierte sich am schnellsten:  Dort sank der Beschäftigtenanteil der Landwirtschaft 1882 unter die 50-Prozent-Marke. Allerdings blieben Verbrauchgüterindustrie, Großhandel, Maschinenbau und später chemische und elektrotechnische Industrie bis ins 20. Jahrhundert unterrepräsentiert. Bergbau und Eisenindustrie dominierten und festigten den Ruf dieser jungen Wirtschaftsregion als eines der wichtigsten Erzreviere Deutschlands.
> Cyrill Stoletzky

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